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Einführung in die Religion der Yorùbá

von Ao. Univ. Prof. Dr. phil Mag. theol Hans Gerald Hödl

Institut für Religionswissenschaft, Universität Wien

mit freundlicher Genehmigung des Autors

Das Volk der Yorùbá [1] lebt in Westafrika, hauptsächlich im Südwesten des heutigen Nigeria, aber auch in Benin. Es ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Einerseits handelt es sich um eine alte Kultur, dann um eine in allen Bereichen religiös durchsetzte Kultur. Weiters ist ihre Religion eine der Hauptquellen für die modernen afro-amerikanischen Religionen. Die Yorùbá sind eher eine Sprachgruppe, als ein gemeinsames Volk, es gibt ungefähr 20 verschiedene Subgruppen, mit Varianten in der Sprache (Dialekt), und auch in religiösen, politischen und sozialen Strukturen. Die Hauptgruppen sind die Egba (Egbado) im Südwesten, die Ijebu im Süden/Südosten, die Oyo im zentralen und nordwestlichen Gebiet, sowie die Ifé und Ijesa im zentralen Bereich, die Owo im Osten, die Ekiti und Igbomina im Nordosten.

Alle Königreiche der Yorùbá führen sich auf die mythische Gründungsstadt Ifé (Ile Ifé) zurück. Verschiedene Gründungsmythen beziehen sich auf diese Stadt, wonach entweder die Menschheit in Ile-Ifé entstand oder auch Odùduwà, ein Kulturheros und Ahnvater der Yorùbá, aus einem entfernten Land im Osten dorthin gekommen war und sich in Ile-Ifé niederließ. Seine Söhne und Töchter wurden die Könige der verschiedenen Yorùbákönigreiche. Der Name Yorùbá ist eine Fremdbezeichnung, die Yorùbá selbst haben sich eher als Angehörige ihrer jeweiligen Königreiche, Oyo, Ekiti, Ijebu, Owo etc, verstanden. Man nimmt heute an, dass es zwei Gruppen von Einwanderern gegeben hat, die sich mit einer ansässigen Bevölkerung vermischt haben. Die eine Gruppe siedelte sich in der Gegend von Ekiti, Ifé und Ijebu an, eine tropische Landschaft mit dichtem Regenwald, die andere in der Gegend um Oyo, ein offeneres Land nördlich der Regenwaldzone. Die frühe Kultur der Yorùbá, die ihr Zentrum in Ile Ifé hatte, ist vor allem durch die im 19. Jhdt. begonnenen Ausgrabungen in Ifé, die kunstvolle Terracotten und Bronzeköpfe zu Tage förderten, bekannt. Aufgrund der Terracotta-Skulpturen nimmt man an, daß die damaligen Yorùbá in einer Beziehung zur früheren Nok-Kultur standen, die um 500 v. Chr. in einem Gebiet am Benue und am Niger, nördlich vom Zusammenfluss der beiden Flüsse und südlich desselben, (600 km O-W, 400 km S-W größte Ausdehnung) bestand. Die Nok-Kultur gilt als erste eisenzeitliche Kultur Westafrikas, was durch Ausgrabungen in Kagara, Nok, Jenaa und Katsina Ala belegt ist, die hauptsächlich Terracottafiguren zutage gefördert haben. Die Beherrschung des Bronzeguss nach der Methode des verlorenen Wachses durch die Yorùbá läßt auf ägyptischen Einfluss schließen. Linguistische Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass das Yorùbá, eine Sprache der Niger-Kongo Sprachfamilie, vor einigen tausend Jahren entstanden ist. Verschiedene Überlieferungen nennen verschiedene Herkunftsorte der Yorùbá. Sie sind aber ziemlich sicher aus dem zentralen Sudan, etwas nördlich von Yorùbáland, eingewandert und wahrscheinlich durch Nilkulturen beeinflusst worden.

Die Yorùbá wurden durch ihre Stadtkultur und ihr neues Herrschaftssystem für den westafrikanischen Bereich bedeutend. Sie hatten zwar verschiedene Arten von Siedlungstypen, von Märkten über Dörfer bis hin zu kleinen Städten, aber ihre großen Städte (ìlú aládé), waren als Sitze von mächtigen Königen bedeutend. Sie wurden von obas, Königen, die sich auf den ersten König von Ifé, Odùduwà zurückführen, beherrscht. Nur diese hatten das Recht, die typische konische, mit Perlenschnüren besetzte Krone zu tragen. Die Könige der Yorùbá tragen neben dem allgemeinen Titel oba eigene Titel, wie der Alafin von Oyo oder der Òóni von Ifé. Das alte Herrschaftssystem der Yorùbá wird als ebi-System bezeichnet: ein Königreich wurde als eine Art erweiterter Familie angesehen und das geeinte Land als ein Verband von Königreichen, deren Herrscher einander als Verwandte betrachteten. Die Vorherrschaft wurde auf das Alter der Königreiche zurückgeführt, weshalb Ifé die Vormacht über alle innehatte. Die Städte waren so aufgebaut, dass jede Großfamilie in ihrem eigenen Häuserkomplex lebte, diese waren wiederum um das Haus des Hauptes der Abstammungslinie (patrilinear) gruppiert. Im Zentrum der Stadt stand der Afin, der königliche Palast. Das alte Oyo, das frühere Zentrum des Oyo-Reiches hatte eine vierzig Kilometer lange, sieben Meter hohe Stadtmauer aufzuweisen. Jeder Häuptling einer Abstammungslinie war Herrscher seines eigenen Stadtviertels. Jede Linie schickte Repräsentanten (iwarefa: eine Position, die man durch Geburtsrecht erhielt) in eine Art Häuptlingsrat, der große politische Macht besaß. Dieser fällte die politischen Entscheidungen, ausgeführt wurden diese aber vom oba resp. seinen Repräsentanten. Das System war im mikrosozialen Bereich von demokratischen Strukturen, im makrosozialen Bereich von aristokratischer Herrschaft bestimmt. Das ebi-System führte zu einer großen Zusammengehörigkeit bei den einzelnen Staaten, aber unter den Staaten überwog das Rivalitätsgefühl zwischen den einzelnen Aristokratien. Der springende Punkt ist aber die religiöse Verankerung dieses Systems, das die königliche Gewalt als göttliche auffasst und in allen Entscheidungen großen Wert auf die Konsultation der religiösen Spezialisten legt. Auch die Rückbindung aller Herrscher an Ifé, die eine Rückbindung an den als Òrìşà verehrten ersten König und Stammvater Odùduwà bedeutet, hat eine stark religiöse Komponente, wie aus den noch zu besprechenden Gründungsmythen hervorgeht. Weiters ist das Leben der Yorùbá von unterschiedlichsten Ritualen religiöser, sozialer, politischer Natur geprägt, bei denen den künstlerischen Ausdrucksformen Tanz, Trommeln und Masken besonderer Wert beigelegt wird.

Ifé hatte seine Glanzzeit um 1300, später begann der Aufstieg von Oyo, der eine Spannung zum ebi-System darstellt. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde Oyo durch seine Kavallerie, die es sich durch ausgedehnte Handelsbeziehungen leisten konnte, zur bestimmenden Macht in der Region, die zwischen 1650 und 1800 die meisten Länder zwischen dem Volta und dem Niger beherrscht hat. Die politische Struktur dieses großen Reiches war eher kompliziert. Der Alafin übte seine Macht in Oyo durch leitende Beamte aus und in den unterworfenen, tributpflichtigen Gebieten durch Repräsentanten, die ilari und ajele genannten Chiefs, die an den Höfen dieser Staaten lebten. Diese besaßen als Priester des òrìşà Şàngó (des Hauptòrìşà von Oyo) große religiöse Autorität. Der Alafin Abiodun (1770-89) begann aber die militärische Macht zu vernachlässigen, da er sie ablehnte und sich auf den Handel konzentrierte, was die Position der ilari schwächte.

Die innere politische Struktur zeigte ein kompliziertes System des Machtausgleichs. Dieses System war auf eine Balance zwischen dem König und seinen Männern auf der einen und dem Rat der Familienältesten, dem Oyo Mesi, auf der anderen Seite aufgebaut. Letzterer konnte den König absetzen (was dessen Selbstmord zur Folge hatte) und einen neuen wählen. Dazu kam die Geheimgesellschaft der Ògbóni, auch Osugbo genannt, eine Art Ältestenrat, den idealerweise die ältesten und weisesten Männer und Frauen bildeten (ogbón bedeutet u.a. Weishheit, ògbóni wörtlich: „weiser Älterer“). In Oyo konnte diese Gesellschaft wiederum die Entscheidungen des Oyo Mesi in Frage stellen. Man findet die Ògbóni -Gesellschaft allerdings im ganzen Yorùbáland, wobei die Rituale unterschiedlich sind. Die männlichen und weiblichen Mitglieder der Osugbo-Gesellschaft, die aus verschiedenen lineages kommen, verehren Onile. Die Interpretation dieser Verehrung ist strittig. Wurde früher in der Literatur oft davon ausgegangen, dass es sich bei Onile um eine Erdgottheit handelt, was die Übersetzung „Herr der Erde [aus oni (Besitzer) und ilè, (Boden Land; ilè ayé bedeutet „Welt“)] nahelegen würde, so gehen manche Interpreten eher von der Übersetzung „Herr des Hauses aus“ [aus oni und ilé (Haus, Heim, Gebäude)]. Demnach ist das Haus das Bild des Kosmos als Einheit, den das Osugbo-Kulthaus als mikrokosmische Darstellung repräsentiert. Als Zeichen der Zugehörigkeit dienen kleine, eine weibliche und eine männliche Figur darstellende Messingstäbe, die mit einer Kette miteinander verbunden sind und als edan bezeichnet werden. Die Bezeichnung ist singularisch, weil die beiden Figuren als Einheit angesehen werden. Sie stellen die Einheit von männlichen und weiblichen Elementen und die ursprüngliche kosmische Einheit dar, die die Gegensätze der menschlichen Erfahrungswelt übersteigt. Mitglieder der Ògbóni -Gesellschaft sind auch ältere Menschen, die bereits „jenseits“ der Spannungen des Lebens stehen. Der Zugang zu dieser Sphäre ist exklusiv, daher der Geheimcharakter der Ògbóni -Gesellschaft, so nimmt man an. Die Ogboni- Gesellschaft besaß die Macht der Judikatur. Im Falle ungerechtfertigten Blutvergießens (Mord) müssen die Ogboni Wiedergutmachung und Sühne leisten. Im 19. Jahrhundert hat die Ògbóni -Gesellschaft wohl auch Menschenopfer dargebracht und ist so in einen üblen Ruf gelangt. [2]

Jedenfalls wurde das Oyo-Imperium durch die komplizierten inneren politischen Abläufe nach außen geschwächt, insbesondere in Bezug auf die Kontrolle über die kleinen Staaten entlang der Küste, die den Sklavenhandel beherrschten. Die bis dahin von Oyo beherrschten Fon in Dahomey wurden stärker und unterwarfen sich schließlich ihrerseits das Yorùbáland im Laufe des 19. Jahrhunderts. Außerdem erlangten die Fulani-Herrscher des Haussalandes im Norden Herrschaft über die nördlichen Gebiete des Oyo-Reiches, das damit auf die früheren Grenzen innerhalb Yorùbálandes reduziert wurde und auch hier seine Vormachtstellung nicht halten konnte. Die politisch instabile Gegend konnte von den Europäern leicht unterworfen werden.

[1] Zur Aussprache: das Yorùbá ist eine Tonhöhensprache, das bedeutet, dass die Tonhöhe Bedeutungsträger ist; es gibt einen Hochton mit ´ markiert (á), einen Tiefton, mit `markiert (à`) und einen Mittelton, unmarkiert; ş bedeutet „sch“, s „s“; „y“ wird wie englisches y (und deutsches „j“) ausgesprochen, „j“ wie englisches j (und deutsches „dsch“).

[2] Zur Ogboni (Osugbo)-Gesellschaft vgl. Peter Morton-Williams, The Yorùbá Ogboni Cult in Oyo. In: Africa. Journal of the International African Institute XXX/4 (Oct. 1960), 362-374; Dr. TH. A. H. M. Dobbelmann. Der Ogboni-Geheimbund. Bronzen aus Südwest-Nigeria. Berg en Dal 1976. Henry John Drewal, Art and Ethos of the Ijebu. In: R. Abiodun / H. J. Drewal / J. Pemberton III, Yorùbá. Nine Centuries of African Art and Thought. New York 1989, 117-146. 136-143

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