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Orishas und Irunmole

Wieviele Orishas gibt es eigentlich?

Artikel von Thomas Altmann - mit freundlicher Genehmigung des Autors - www.eriwo.de

Es heißt, es gäbe "400 Irunmole auf der rechten Seite und 200 Igbamole auf der linken Seite".
Manchmal findet man auch die Angabe: 400 + 1 und 200 + 1.
Diese Aussage wird den meisten Lesern wahrscheinlich unverständlich sein.

Imole, Imale oder Irunmole sind die primordialen Gottheiten, die schon vor der Schöpfung des Universums existierten und dieses - sozusagen "aus dem Off" heraus - schufen, formten, prägten. Was diese Gottheiten auszeichnet, ist, daß sie jenseits jeglicher Manifestation bestehen: Ihr "Aggregatzustand" liegt irgendwo zwischen Geist und Energie.

In einigen Quellen wird noch zwischen Imale und Irunmole unterschieden. Man muß sich leider damit abfinden, daß es in dieser Religion keine einheitliche Nomenklatur, keinen einheitlichen Katechismus und keine kohärente Mythologie gibt, wo sich eins logisch zum anderen fügt. Die teilweise gegensätzlichen Aussagen muß man im Laufe der Zeit intuitiv erfassen, und das Bild, das sich zum Schluß ergibt, ist ebenfalls schwerlich in Begriffe und Kausalzusammenhänge zu zwängen.

Das gilt auch für die Orishas. Die Orishas sind Gottheiten, die an der Schwelle zur Manifestation stehen. Ein Teil ihrer Energie findet sich in den mit ihnen assoziierten Pflanzen, Tieren, Mineralen etc. - Ein Teil beseelt Artefakte, wie z.B. heilige Gegenstände, welche die Orishas repräsentieren. Ihre Energie findet sich aber auch in Menschen, die von ihrem Geist, ihrem Wesen regiert, ihm bisweilen geweiht werden, ja deren Körper diese "Wesen" mitunter in Besitz nehmen, wenn etwa auf einer Zeremonie Anwesende in Trance fallen.

Ein Irunmole, der sich sichtbar manifestiert, ist eigentlich schon kein Irunmole mehr, sondern ist einen Schritt weiter in der Stofflichkeit gekommen. Er mag noch denselben Namen haben (oder auch nicht); aber eigentlich ist er nunmehr eindeutig als Orisha anzusehen.
Nach mehreren afrikanischen Quellen gehören zu den ersten 17 Irunmole, die als energetische Prinzipien im Universum walteten, die Olódù-Ifá oder Odù méjì, die 16 Haupt-Orakel-Patterns. (Der siebzehnte war Oshún.)

Eine engere Definition für Orisha besagt, es handle sich dabei um deifizierte (vergöttlichte) Ahnen. Beispiel: Shangó (Xangô, Sàngó, Changó), zu Lebzeiten vierter Alafin (König) von Òyó, vollbrachte Heldentaten, war außerordentlich mächtig und wurde nach seinem Tode weiter vergöttert und verehrt, bis er dem bloßen Totsein als Égún (Totengeist) entwuchs und sein Geist so sehr mit Kraft aufgeladen war, daß er zum Orisha wurde. Freilich ging diese Erhebung zum Orisha Hand in Hand mit einer Läuterung der individuellen Persönlichkeit (des Wesens) und des Charakters, welche teilweise schon zu Lebzeiten eingetreten war.

Eine verbreitete Übersetzung des Wortes Orisha (Òrìsà, Oricha, Ocha, Orixa) lautet: "Erlesener (erwählter) Kopf", wobei der Kopf in diesem Falle etwa für die "Seele" steht. Tatsächlich läßt sich diese Übersetzung aber etymologisch schwer halten. Zudem wird das Wort umgangssprachlich viel allgemeiner und umfassender gebraucht. Ein Orisha ist da einfach eine Gottheit. So werden im Sprachgebrauch die Irunmole oft auch nur als eine Spezies dieser Gottheiten behandelt, sodaß Orisha den Oberbegriff sowohl für die "echten" Orishas im engeren Sinne, als auch für die Irunmole darstellt. Wir erinnern uns: Die Nomenklatur ist uneinheitlich.

Die Zahl 400 oder 200 ist ebenfalls nicht wörtlich zu nehmen. Die Yoruba meinen das etwa so, wie wenn wir sagen würden: "Hundert", "Tausend", "zig" oder dergleichen. Es heißt einfach nur: "sehr viele" oder "unzählige".
Die Igbamale sind die geistigen Entitäten (Ebora) auf der linken Seite. Rechts und links bedeutet hier: positiv und negativ. Während auf der rechten Seite die Orishas als schöpferische Kräfte stehen, kämpfen auf der linken die destruktiven Kräfte der Ajogún, der Woroko, der Omo-Araye (Araye) und Elenini. An dem Umstand, daß ihre Zahl nur 200 gegenüber 400 auf der Orisha-Seite mißt, erkennen wir die Überzeugung der Yoruba, daß das Gute stets dem Bösen überlegen ist.

Auf dem Weg, den die Yoruba in die Sklaverei jenseits des Atlantiks machen mussten, haben auch einige Orishas (Gottheiten) nicht überlebt. Ihr Tod wurde dadurch besiegelt, daß sie in der neuen Umwelt ihre Relevanz für die Gläubigen verloren und schließlich einfach vergessen wurden; denn ohne Verehrung durch die Menschen stirbt und verschwindet der Orisha. Einige Orishas wechselten ihren Zuständigkeitsbereich (Inle, Yemayá) oder gingen als einzelner Aspekt (Avatar, camino, Pfad) in der “Firma” einer anderen Gottheit auf (Beispiel: Obalufon – Obatala). Wieviele Orishas es demnach in Brasilien oder auf Cuba gibt, hängt davon ab, an wieviele von ihnen sich jeder einzelne Priester oder Gläubige erinnert, und wieviele er kultisch verehrt. Da die Orishas grundsätzlich „international“ sind und immer und überall regieren, gleich ob man sie nun beachtet oder nicht, müßte die Frage besser lauten: Wieviele Orishas kennt man auf Cuba (Brasilien, Nigeria u.s.w.)? Oder: Wie stark sind welche Orishas dort? Und dies hängt eng zusammen mit dem Ausmaß der kultischen Verehrung, die ihnen zuteil wird.

Der Grad der Bekanntheit sowie der Umfang des Kultes einer oder mehrerer Gottheiten, differiert zwischen den Ilés, den religiösen Häusern. Ausgehend von einer Zahl von 22 Orishas, die auf Cuba in der Trommel-Liturgie der Lukumí vorkommen, und die jeder kennt, kennen einige Priester vielleicht bis zu 40 oder 50 Orishas, und einige Spezialisten kennen bestimmt eine große Zahl alter afrikanischer Gottheiten, deren Namen manch einer nie gehört hat. Einige Orishas werden auf Cuba gerade wiederentdeckt und ausgegraben, wie z.B. Oshumare, der im Candomblé in Brasilien dagegen zur "alten Stammrunde" des Pantheons gehört.

Wir dürfen auch nicht vergessen, daß einige Orishas, besonders Eleggua, Ochún, Yemayá, Obatala und Babalú Ayé, zahlreiche Avatare unter sich vereinen. Damit wären wir dann nämlich doch wieder bei der Schätzung "sehr viele".
Die bekanntesten und wichtigsten Orishas in der Lukumí-Tradition (Cuba) sind wohl:
Eleggua, Obatala, Changó, Yemaya, Ochún, Oyá, Orunmila, Ogún, Babalú Ayé, Aggayú, Ochosi und Osain;
außerdem:
Oddudua, Olokun, Ibeji, Obba, Dada, Ogé, Korikoto, Osun, Obaloke, Oricha Oko, Nana Buruku (und andere ... )

Zu den Irunmole gehören unter anderem die Odù von Ifá, die das kosmische Geschehen organisieren und lenken. Es gibt Hinweise darauf, daß diese Odù, die eigentlich Orakelzeichen darstellen, aber in diesem Sinne auch metaphysische Kraft-Patterns sein müssen, ebenfalls - wenn auch auf einer höheren geistigen Ebene - Orishas sind (s. Rowland Abiodun: Hidden Power, in Òsun across the Waters, S. 15-16). Wenigstens können die Odù die ihnen ensprechenden Orishas generieren oder sich in sie verwandeln, wie etwa Osetura sich zu Eshú transformiert. Andererseits gebar Òsun (Ochún) Osetura (in eben diesem Odù). Ogún wird im Odù Ogundameji geboren, erhält aber in einer diesem Zeichen zugeordneten Legende den Namen Ogundameji (Philip John Neimark, The Way of the Orisa, 1993, S. 86-87), transformiert sich also wieder zum Odù. Oyá wird in Osa-Ogunda "geboren" (Gleason, Oya. In Praise of an African Goddess, 1992, S. 183-189). Nach Fela Sowande und Fagbemi Ajanaku (neben Anderen) gehören die Olódù, die ersten 16 Odù, zu den ersten Irunmole, die von Olódùmarè zur Erde gesandt wurden. Auch hier läßt sich wieder ein fließender Übergang zwischen Ifá, repräsentiert durch die Odù, und Orisha feststellen. Es scheint sich hierbei um unterschiedliche Manifestationsstufen auf der Skala zwischen Geist über Energie zur Materie zu handeln, wobei das Odù als eine Idee oder ein Prinzip anzusehen ist, das als Irunmole oder Orisha energetische Gestalt annimmt, zur Kraft wird, die sich dann in weltlichen Phänomenen manifestiert, materialisiert oder inkarniert.